Mit stetem Schritt in die Meditation

Gustl Fraedrich ist Skilehrer, Bergwanderführer bei ASI Reisen und arbeitet dort auch als inhouse Trainer für Guides. Auf seinen Touren führt er im Schnitt 10 bis 12 Leute eine Woche lang durch die Natur. Nicht nur bei ihm vor der Haustür, sondern weltweit. Aber die Welt ist in Zeiten von Corona nicht mehr uneingeschränkt erreichbar – oder ist der Ort für das Wandererlebnis gar nicht ausschlaggebend?

Wo lässt sich das „draußen“ überhaupt erleben oder besser gesagt erwandern? Berge sollten es doch schon sein, oder?

Du wirst lachen, aber ich habe sogar schonmal in Hamburg eine Wanderung geführt bei einem Kundentag mit einem Partnerreisebüro. Wir führen generell dort, wo man zu Fuß unterwegs sein kann. Das heißt, dass man nicht immer Berge braucht, denn man kann ja auch im Flachen wandern. Natürlich sind dennoch hauptsächlich alpine oder hügelige Landschaften beliebt, vor allem die Alpen, aber auch Inseldestinationen wie die Kanaren, Madeira oder Mallorca.

Corona erschwert das Reisen an ideale Wanderspots. Auch das Wandern generell?

Die Leute können überall etwas tun, vor deiner Haustür genauso wie auch vor meiner. Natürlich denkt der eine, dass es woanders interessanter ist und umgekehrt. Aus meiner Sicht erscheinen Küstenwege, das Meer und die Natur vielleicht spannend, weil ich das nicht so gut kenne. Umgekehrt stellen sich Leute im Norden die Berge als das Nonplusultra zum Wandern vor.

Die Krise mag einiges verändert haben, aber wichtig ist, dass man nach dem Fallen aufsteht. Wir können lernen, dass alles vielleicht einen Schritt langsamer geht, aber stetig zum Ziel führt. Und da kann man die Brücke zum Wandern schlagen, denn auch da ist es so, dass du mit kleinen Schritten stetig an dein Ziel willst.


„Mit jedem Schritt, den du dem Gipfel entgegen steigst, weichen deine Probleme einen Schritt weg von dir.“

Worum geht es beim Wandern, wenn die Orte und Landschaften, die sich dafür eignen, variieren können?

Wandern hat für mich viel mit Ruhe, mit Kraft und mit Energie zu tun. Ich möchte letztlich in Harmonie mit mir selbst sein. Es gibt einen tollen Satz, der heißt: „Mit jedem Schritt, den du dem Gipfel entgegen steigst, weichen deine Probleme einen Schritt weg von dir.“ Es gibt nur einen Haken, wie überall im Leben, dass du ja wieder ins Tal zurück musst. Das heißt, deine Probleme werden dich auch wieder einholen. Aber während dieses Gipfelanstiegs, auf dem Weg ist es sinnvoll, über ein sogenanntes meditatives Gangbild ein Gefühl der Harmonie zu erzeugen, das heißt, ich schalte eigentlich ab. Ich meditiere.

Auch in der Gruppe?

In der Gruppe fungiere ich natürlich als Tour Leader, habe in erster Linie Pflichten, daher bin ich natürlich etwas weniger auf mich fokussiert. Dennoch versuche ich, diesen Zustand zu erreichen und ihn auch weiterzugeben, mit meinen Gästen zu teilen. Ich erkläre ihnen das Ganze auch, im technischen genauso wie im esoterischen Sinne. Es gibt natürlich ganz klassische Parameter, die für die Gäste wichtig sind: Das Wetter soll gut sein, der Weg abwechslungsreich und an die Kondition oder Tagesverfassung angepasst sein. Und wenn wir bei dem Beispiel Berge bleiben, darf natürlich auch eine zünftige Einkehr auf einer Almhütte nicht fehlen. Wenn ich allein unterwegs bin, ist das für mich gar nicht so wichtig. Ich mag zum Beispiel widrige Wetterumstände viel lieber. Wenn es regnet oder stürmt, am liebsten, wenn es schneit, muss man sich noch viel mehr mit sich selbst auseinandersetzen. Das Allerbeste daran ist dann das Heimkommen, quasi nach getaner Arbeit. Es passiert doch einiges mit einem bei so viel Action und man ist zufrieden nach der Heimkehr und stellt fest, dass man nicht viel braucht: ein Dach überm Kopf, eine warme Dusche, trockene Kleidung und einen Tee. Man fühlt sich – plakativ gesagt – wie neu geboren.


Meditativ ist ein Begriff, an den ich früher nicht als erstes gedacht hätte im Zusammenhang mit einer Tiroler Alpinschule.

Das erlebe ich auch so. Heute ist es viel leichter mit solchen Begriffen zu arbeiten als noch vor zehn Jahren.

Hast du den meditativen Aspekt über das Wandern zufällig gefunden oder hast du ihn bewusst gesucht?

Es ist sicher etwas, das ich generell anstrebe. Aber durch das Instrument Wandern habe ich einen besseren, klareren Zugang dazu entdeckt. Die meisten Leute in diesem Bereich haben, wie auch ich, in der Kindheit schon die Liebe zum Wandern entdeckt. Der Unterschied ist vielleicht, dass früher vieles anstrengender war und durch diese Methodik, die ich gefunden habe, ist der Gipfel ein Stück näher gerückt.

Der ganze Trend beim Wandern ist leichtgängiger geworden. Das Wandern ist bunter geworden, was man an der Mode sieht. Das Wandern ist jünger geworden, es ist keine Best Ager Hobby mehr. Es ist cool, es ist Abenteuer. Es wird in den sozialen Medien darüber geschrieben und gepostet. Wandern ist auch leichter zugänglich, interaktiver und sicherer geworden, durch Apps und Karten. Auch wer ohne Gruppe individuell reisen will, bekommt alle Informationen zur Verfügung gestellt. Das Wandern ist generell dynamischer geworden.

Ich konzentriere mich auf etwas, auf meinen Rhythmus, auf meine Atmung, auf meine Schrittlänge und damit letzten Endes auch auf den Weg.

Wenn du Strecken gehst, die du schon sehr gut kennst und die Gedanken sich aufgrund der Routine dann vielleicht doch wieder um alles Mögliche und Unmögliche drehen, wie gehst du damit um?

Wenn ich zu viel denke, dann zähle ich ganz simpel meine Schritte. Und zwar nicht von eins bis 1.000.723, sondern wie bei einem Marsch, also 1,2,3,4  1,2,3,4. Einfach, um wieder diesen Zustand zu erreichen, in dem ich aufhöre zu denken. Ich konzentriere mich auf etwas, auf meinen Rhythmus, auf meine Atmung, auf meine Schrittlänge und damit letzten Endes auch auf den Weg. Klar ist das für mich mit der Erfahrung leichter zu sagen, ich muss auch nicht wirklich auf den Weg schauen, weil ich ihn regelmäßig scanne und vielleicht auch mal ein paar Schritte blind gehen könnte. Aber diese Trittsicherheit kann jeder lernen, auch im urbanen Umfeld.


Man kann einfach durch einen Park gehen und sich auf dem Weg ein paar Fixpunkte setzen, die man treffen möchte. Einen kleinen Stein oder einen Ast, zum Beispiel. Zuerst schaut man sich die Schritte an, die man gehen möchte, prägt sie sich ein und macht dann die Augen zu und geht los. Zuerst probiert man einen Punkt zu treffen, dann zwei und so weiter. Das ist sehr wichtig für eine Trittsicherheitsschulung. Ich rate das auch meinen Gästen. Manchmal sind Teilnehmer dabei habe, die aus unterschiedlichen Gründen nicht so fit sind. Wenn die an den Punkt kommen, an dem es kein Vor und Zurück mehr gibt, rate ich, sich einfach mal auf diesen militanten Marsch zu konzentrieren. Dann geht es in der Regel auch besser.

Bist du in dem Sinne auch ein Lehrer und die Gäste Schüler?

Ich würde sagen: Hobbypsychologe (lacht). Ja, das kann man so stehen lassen. Aber es gibt natürlich auch die Situation, dass Leute das gar nicht wollen und ich will das auch niemandem aufzwingen. Also Hobbylehrer (lacht wieder).

Wo fängt die Wanderung an? Was sollte man unbedingt dabei haben?

Die Wanderung fängt bei der Planung an. Ich sollte mir immer bewusst machen, wo gehe ich jetzt hin. Was brauche dafür, wie packe ich meine Sachen? Das schürt eine Vorfreude. Was passiert dort? Vielleicht kann man es sich schon ausmalen. Das ist nützlich, auch für den eventuellen Notfall. Natürlich ist die Ausrüstung wichtig, aber was ich noch viel spannender finde, ist wirklich die Planung. In Bezug auf Ausrüstung halte ich Wechselbekleidung für essenziell. Das unterschätzen viele Leute. Es gibt nichts Besseres und Wohltuenderes, als sich da draußen ein frisches Shirt anzuziehen, wenn man nass geschwitzt am Gipfel ankommt. Das ist gut fürs Körperklima und man hat wieder viel mehr Freude an dem, was man tut und dadurch hat man natürlich auch wieder viel mehr Kraft und Energie, den Weg weiter zu beschreiten.