Reduce, Reuse, Recycle Refuse

Andreas Noe ist aus seinem bürgerlichen Leben ausgestiegen und wohnt in einem Van an der Küste Portugals. Nicht “nur” um zu Surfen, sondern vor allem um gegen den Plastikmüll im Meer aktiv zu werden. Und uns zum Überdenken unseres Konsumverhaltens zu bewegen. “Wir haben verlernt damit klarzukommen, wenn nicht immer alles sofort verfügbar ist.“

Du lebst als Deutscher in Portugal in einem Van und sammelst Plastikmüll. Wie bist du dazu gekommen?

Ich bin Molekularbiologe und reise gerne und viel. In einem Portugal Urlaub habe ich mich dazu entschieden, hierherzuziehen. Vor drei Jahren habe ich mir dann Arbeit in einem Labor in Lissabon gesucht, dort habe ich an Leukämie geforscht, dann als medizinischer Berater gearbeitet. Seit ich in Portugal lebe, verbringe ich jede freie Minute mit Surfen. Im ersten Jahr habe ich ganz normal in einem Apartment gewohnt, doch wollte ich minimalistischer und näher am Wasser leben. Daher bin ich in meinen VW-Bus gezogen. Davon habe ich immer geträumt, vor und nach der Arbeit direkt in die Wellen zu springen. Plötzlich war ich täglich mit Müll und Plastik konfrontiert. Mir ist vor allem im Supermarkt aufgefallen, wie viel Einwegplastik wir eigentlich täglich benutzen und ich habe versucht selber mehr und mehr darauf zu verzichten.

Wie bist du auf die Idee gekommen, Müll aufzusammeln? Gab es einen Schlüsselmoment?

Wenn man im Winter an den Stränden um Lissabon surft, fällt einem auf, wie viel Müll durch Stürme in den Tejo, der hier ins Meer mündet, gespült wird. Dann surft man wortwörtlich in Müll und Plastik. Das war für mich der ausschlaggebende Punkt auch beruflich umzudenken. Es war nicht mehr meine Erfüllung in der biomedizinischen Richtung zu arbeiten. Wenn wir so konsumieren und wirtschaften wie bisher, dann werden wir in den nächsten 20 bis 30 Jahren nicht mehr glücklich sein.

Der Trash Traveller
Andreas Noe aka The Trash Traveler ist in seinen VW Bus gezogen, um ein minimalistischeres Leben zu führen und um näher am Meer sein zu können.

Du hast dann nicht nur den Müll vor deinem Van aufgesammelt, sondern dich dazu entschlossen, eine Art Bewegung zu starten.

Anfangs gab es keinen richtigen Plan. Genau vor einem Jahr habe ich meinen Job gekündigt und angefangen Müll zu sammeln. Ich brauchte aber einen größeren Sinn. Ich kann fünf Tonnen Plastik an einem verlassenen Strand aufsammeln, aber dadurch verändere ich nichts. Jede einzelne Zigarette, jedes einzelne Plastikteil, dass ich aufsammle, muss von den Leuten gesehen werden, damit sie zum Nachdenken angeregt werden. Das war für mich der Grund den Instagram Account The Trash Traveler ins Leben zu rufen. Zum Trash Traveler gehört das Reisen, meine Ukulele und vor allem Spaß. Mir geht es nicht darum, Leute zu verurteilen, sondern ich möchte zum Nachdenken anregen und das auf eine positive, witzige, manchmal auch ernste Weise. Ich mache unterhaltsame Videos über ein durchaus ernsthaftes Problem. Ich versuche das Thema gut zu verpacken, sodass Leute auch Lust haben sich meine Posts anzusehen. Mit schlechter Laune motiviert man niemanden dazu, mit anzupacken. Es geht aber nicht nur um das Müllsammeln, sondern auch darum, dass wir unsere Gewohnheiten überdenken und ändern müssen. Ich würde mit meiner Arbeit gerne einen Wandel mit anstoßen.  

Was machst du mit dem aufgesammelten Müll?

Am Anfang warf ich den Plastikmüll in die dafür vorgesehenen Container. Dann habe ich mich zunehmend mit der Thematik beschäftigt. Weltweit werden nur 14 % des Plastikmülls recycelt. Die restlichen 86 % landen entweder auf einer Mülldeponie, werden verbrannt oder in ärmere Länder verschickt. Diese Länder werden mit Müll überflutet und können den gar nicht bewältigen, der gelangt dann auch oft in die Weltmeere. Auch bei uns in Deutschland ist das Abfallsystem nicht effizient. Wir müssen unseren Müll reduzieren und auf nachhaltige Produkte setzen.

Ich war schnell an dem Punkt, dass ich gar keinen Müll mehr in die Recycling-Container geben wollte, weil hier in Portugal sogar weniger als 14 % davon wiederverwertet werden. In Bezug auf Nachhaltigkeit spricht man von den drei Rs: Reduce, Reuse, Recycle. Ich sehe diesen Leitsatz als fehlerhaft an, wir müssen den Fokus auf Reduce und Reuse legen. Meine drei Rs lauten: Reduce, Reuse and Refuse. Ich nehm das Wort “Recycling” gar nicht mehr in den Mund. Müll zu reduzieren und Verpackungen wieder zu benutzen klingt erstmal mühsam und viele Leute denken daher Recycling sei eine genauso gute Option. Es herrscht nicht genug Druck, um weniger Müll zu produzieren. Sehr viele Einwegplastikverpackungen sind zum Beispiel gar nicht recyclebar.

Recycling ist also keine Option, was machst du mit dem gesammelten Plastikmüll?

Ich habe den Plastik Hike ins Leben gerufen. Dabei wandere ich entlang der Küste Portugals, sammle Plastikmüll auf und schaffe Bewusstsein für unser Konsumverhalten. Jeder, der möchte, kann mich streckenweise dabei unterstützen. Jedes einzelne, aufgesammelte Teil wird gelagert. Ich arbeite mit verschiedenen Städten zusammen, mit NGOs und Surfschulen. Mein Teamkollege kümmert sich parallel um Kollaborationen mit portugiesischen Künstlern, die aus allem, was wir aufsammeln, Kunstwerke machen. Was übrig bleibt, wird benutzt, um die Ausstellungsräume auszustatten.

In jeder Stadt, die ich auf meinem Weg erreiche, treffe ich mich mit Künstlern, übergebe den Plastikmüll, spreche mit ihnen und während ich weiter laufe, erstellen diese dann Kunstwerke. In jeder Stadt gibt es eine lokale Ausstellung mit nur einem Kunstwerk und in 2021 wird es eine große Ausstellung in Lissabon mit allen teilnehmenden Künstlern geben.

Plastikflaschen machen einen Großteil des von Andreas aufgesammelten Müll aus.

Ist es nicht frustrierend zu sehen, dass von dir gereinigte Strände beim nächsten Besuch wieder mit Plastikmüll übersät sind?  

Definitiv, solche Momente sind sehr deprimierend. Ich frage mich dann, warum ich das hier eigentlich mache. Aber wenn niemand etwas machen würde, gäbe es auch keinen Druck auf die Verantwortlichen und die Industrie würde immer genauso weiter wirtschaften. Im Rahmen des Klimawandels wird es ab einem gewissen Punkt ein Umdenken geben müssen.

Ich sehe beim Aufsammeln zwar nur einen kurzfristigen Effekt, aber das tolle Feedback von Mitmenschen motiviert mich genauso wie Restaurants, die beschließen kein Einwegplastik mehr zu benutzen. Es kann auch im Kleinen viel erreicht werden, wenn alle mitmachen. Vielleicht machen auch die Wirtschaft und die Regierung bald mit, das ist das Ziel.

Wenn du Gesetze beschließen könntest, was wären die Hauptpunkte, die du ändern würdest?

Plastik ist grundsätzlich kein schlechtes Material, es ist sehr nützlich in vielen Sektoren, zum Beispiel im medizinischen Bereich. Ich würde allerdings darauf achten, dass Einwegplastik nur noch für Ausnahmefälle produziert werden darf. Ich würde zum Gesetz machen, dass jeder, der unterwegs etwas trinken will, eine Trinkflasche mit sich tragen muss. Wir sollten mal zwei Generationen zurückschauen, um zu sehen, wie unsere Großeltern gelebt haben. Wir haben verlernt damit klarzukommen, dass nicht immer alles sofort verfügbar ist. Ich selber habe gar keine Probleme, auf Plastik zu verzichten. Es benötigt wirklich nur einen kleinen Tick mehr Motivation, um nach einem Wasserhahn zu suchen oder in Restaurants nach Wasser zu fragen.

Für Einwegplastik muss es noch viel strengere Regularien geben. Es muss viel mehr in eine Kreislaufabfallwirtschaft investiert werden. Die größten Plastikverschmutzer müssten mindestens die gleiche Summe in die Entwicklung nachhaltiger Verpackung investieren wie in ihre Marketingaktivitäten. Es kann nicht einfach immer weiter produziert werden, ohne darüber nachzudenken, was mit dem ganzen Müll passiert.

Kannst du Trends in der Müllproduktion erkennen?

Masken. Seit dem Ausbruch von Corona Ausbruch findet man sie überall. Ich war an Stränden, zu denen musste ich zwei Stunden lang hinwandern, ohne eine Menschenseele zu treffen und die waren übersät mit Plastik und Masken. Das ist der größte und alarmierendste Trend zurzeit. Selbst während Corona, wenn die Produktionen überall heruntergefahren werden, macht die Umweltverschmutzung keine Pause.

1,5 Milliarden Wattestäbchen werden pro Tag produziert, um nur einmal benutzt zu werden. Ein Großteil davon landet in den Meeren.

Was für außergewöhnlichen Müll findest du?

Ich teile meinen Müll in Kategorien ein: alltäglich, eklig, niedlich und ausgefallen. Alltäglich sind Flaschen und Dosen. Ekligen Müll versuche ich auch in Angriff zu nehmen und dabei die Van Life Community miteinzubeziehen. Ich bin selber “Van Lifer” und wir müssen so bewusst wie möglich reisen und die Natur dabei respektieren. Es gibt sehr viele Leute, die in die Natur verschwinden, bevor sie an den Strand gehen und dabei Dinge hinterlassen, inklusive Klopapier. Besonders auf den Wanderwegen fällt das auf und ist wirklich eklig. Heute Morgen erst habe ich einen Tampon aufgesammelt. Diese Dinge werden hinterlassen, weil die Leute selber davon angeekelt sind. Wie das wohl für andere ist, soweit wird nicht gedacht.

Niedlicher Müll sind kleine Plastikfiguren, etwa aus Überraschungseiern, Kinderspielzeug. Kaputtes repariere ich auch und gebe das dann gesammelt an Künstler, damit sie etwas Süßes daraus machen können.

Außergewöhnliches? Ich habe eine Puppe gefunden, die riesige Brüste hatte und recht unheimlich aussah. Die habe ich leider verloren. Ansonsten finde ich immer wieder Puppenköpfe. Darüber freue ich mich, denn damit kann Videos drehen, in denen ich mit den Köpfen spreche, das belebt dann meinen Instagram Feed ein wenig.

Wie viel Müll hast du bisher gesammelt?

Momentan sind es über 1,3 Tonnen. Die Zahl aktualisiere ich immer in meiner Instagram Bio.

Wie kann man dich unterstützen?

Auf zwei Arten: einmal kann man mich auf meinem Plastik Hike begleiten und mitsammeln. Auf meiner Website habe ich eine Karte veröffentlicht und verschiedene Stationen markiert, an denen ich anzutreffen bin. Aber auch aus der Ferne kann man unterstützen. Auf meiner Seite habe ich eine Buy me A Coffee Spendenseite verlinkt. Dort kann man mir einen Kaffee und einen Müllsack spendieren und somit mich, mein Team und die Projekte finanziell unterstützen. Es wird einen The Trash Traveler Dokumentarfilm geben, aktuell begleitet mich ein kleines Filmteam und gemeinsam sprechen wir mit verschiedenen Organisationen und hören uns jede Meinung von Leuten an, die aktiv etwas gegen die Umweltverschmutzung hier in Portugal tun. Es geht nicht um mich, der den Leuten die Probleme aufzeigt, sondern ich höre auch jedem zu, der etwas zu sagen hat.

Sein Surfbrett hat Andreas der Trash Traveler mit Plastikmüll und Zigarettenstummel verziert.

Du arbeitest ja mit Firmen wie JACK WOLFSKIN zusammen, wie kann man sich das vorstellen?

Aktuell ist Jack Wolfskin der einzige große Hersteller, mit dem ich zusammenarbeite. Mir ist wichtig, dass ich mit kollaborierenden Firmen auf einer Linie bin. Bei Jack Wolfskin ist das der Fall und ich trage gerne die Kollektion, die aus recycelten Materialien besteht. Ich arbeite mit einigen Umweltorganisationen zusammen. Es ist sehr schön zu sehen, wie viele Menschen und Organisationen helfen wollen. Surfschulen und viele Küstenstädte hier unterstützen mich und so kommen ich und mein Team über die Runden. Mit vielen kleinen und mittleren Beträgen bin ich nicht auf große Sponsorings angewiesen und alles bleibt persönlich. Jeder der eine Idee hat oder mit mir zusammenarbeiten will, kann mich gerne kontaktieren. Es gibt verschiedene Wege, wie ich dann auch etwas zurückgeben kann, etwa werden wir Logos im Abspann des Dokumentarfilms zeigen. Auch Leute, die mir einen Kaffee spendieren, werden dort erwähnt. Mir ist wichtig zu zeigen, dass wir das hier alle zusammen machen.

Was ist dein langfristiges Ziel?

Ich möchte meine Arbeit weiter entwickeln. Das ganze nächste Jahr ist schon mit Projekten verplant. Mit dem Dokumentarfilm und einigen Kunstwerken werde ich auch Schulen, Universitäten und verschiedene Events besuchen, Vorträge halten, um das ganze Thema weiter zu tragen und um nachhaltiges Denken bei den Leuten anzustoßen.

Was können wir im alltäglichen Leben tun, um die Müllsituation zu verbessern?

Zählt einfach mal die Plastikartikel, die ihr an einem Tag in die Hand nehmt. Macht das mal eine ganze Woche lang, das ist schon erschreckend. Überlegt, auf was davon ihr eigentlich verzichten könnt. Mit Trinkflaschen, Stoffbeuteln zum Einkaufen und Bambus-Zahnbürsten kommt man schon weit. So vieles lässt sich vermeiden. Ist es nicht eigentlich verrückt, wie viel wir konsumieren? Seht es als persönliche Challenge, die eigene Müllproduktion zu reduzieren.

The Trash Traveler hiking in Portugal
The Trash Traveler trägt TANAMI Shorts, KIRUNA Fleecejacke, KINGSTON 30 RECCO PACK Wanderrucksack, MOUNT ELGON Hardshell-Jacke und RE WASTY wiederverwendbarer Müllsack